… All das, was wir ererbt oder uns erworben haben (z. B. Verhaltensweisen, anwendbares Wissen, Fertigkeiten), beeinflusst unseren individuellen Umgang mit uns selbst. In ihm unterscheiden wir uns bei aller grundlegenden anatomischen, physiologischen und psychologischen Vergleichbarkeit von unseren Mitmenschen.
Grundsätzlich könnte jeder von uns eine überlastungsbedingte Erkrankung als Reaktion auf Stress und Anspannung ausbilden. Aber nicht bei jedem geschieht das. Der Umgang mit Stress ist verschieden und auch seine jeweilige Höhe spielt eine Rolle.
Im Umgang mit unserem eigenen Bewegungsapparat, in unserer Bewegung und Haltung haben wir einen großen Spielraum, den wir selbst aktiv beeinflussen. Egal wie weit uns das bewusst ist, entscheidet die Art und Weise unserer Bewegung und Haltung in hohem Maße auch über Gesundheit und Erkrankung unserer Knochen, Gelenke, Muskeln und Sehnen, unseres Binde- und Stützgewebes.
So können Erkrankungen des Bewegungsapparates auch aus mangelnder Kenntnis von sich selbst und dem entsprechenden Umgang mit sich selbst entstehen.
Wir sehen daran, dass wir grob gesagt auf zwei Weisen mit uns selbst umgehen können: So, dass es uns eher nützt oder so, dass es uns eher schadet. Beim HeilÜben habe ich mich immer an dem orientiert, was mir eher nützte.
Unsere Anlagen und Fertigkeiten greifen ineinander und wirken aufeinander ein. Erleben wir anhand unserer körperlichen Probleme unsere Vielschichtigkeit und Komplexität als Menschen mit einer unmittelbaren Verbindung zwischen Geist, Körper und Seele, so wird der Weg zu einem besseren Umgang mit uns selbst und anderen in vielerlei Hinsicht möglich.
In gewisser Weise lässt sich die gute Beziehung zu unserem eigenen Körper mit einer guten Partnerschaft vergleichen. Je besser wir miteinander im Gespräch bleiben, desto besser kann sich ein Verständnis entwickeln. Wir erfahren auf diese Weise viel über unsere Besonderheiten, Reaktionen und Bedürfnisse.
Michael Lukas Moeller beschrieb als Paartherapeut die Beziehungsarbeit als die ständig neu genutzte Gelegenheit, die Liebe macht¹.
Und für diese wie auch für jede andere Arbeit gilt: Bedeutet sie überwiegend Freude, Erfolg und Bereicherung für uns, tun wir sie gerne und von uns selbst aus. Uns selbst zuliebe.
Auch im Bezug auf den Umgang mit unserem Körper können wir Wege finden, auf denen sich immer wieder Verständnis, Übereinstimmung und gute Empfindungen in uns selbst erreichen lassen.
Dass wir die Gelegenheiten dazu auch tatsächlich wahrnehmen, macht ein gesünderes Leben möglich.
Der Umgang mit unseren “weichen” Kompetenzen, mit unseren Gedanken, Gefühlen und Vorstellungen, die für eine solche Beziehungsarbeit nötig sind, ist für manche Menschen einfacher als für andere. Moeller zitiert dazu einen Mann, der von einem Paargespräch mit seiner Frau berichtet: „Ich habe zeit meines Lebens nie wirklich Zugang zu mir selbst gefunden. Die Frage ‘Was bewegt mich im Moment am stärksten’ konnte ich überhaupt nicht beantworten.“²
Für mich stellte sich die Frage danach, was ich eher in Kauf nehmen wollte:
- die Entzündungsschmerzen, die Einschränkungen und drohende Zerstörung von Gelenken durch meine rheumatoide Arthritis oder
- die Beschäftigung mit meinen Empfindungen und meiner Beziehung zu mir selbst.
Was meinen Umgang mit meinen Empfindungen und meine Beziehung zu mir selbst betraf, war ich zu Beginn meiner Erkrankung wesentlich ungeübter. Ich hätte meine mentalen Belange damals alles in allem als „so wie immer“ beschrieben und kaum einer weiteren Überlegung wert gefunden.
Beim HeilÜben betrachten wir anfänglich einzelne unserer Fähigkeiten genauer, um sie besser nutzen zu können. Das bringt auch eine genauere Beschäftigung mit den eigenen Wünschen, Empfindungen und Vorstellungen mit sich. Ich fand so etwas früher einmal recht schnell unangenehm bis abstoßend. Einerseits, weil mir Worte, mit denen ich Gutes, Gesundes und Wichtiges verbinde, oft auch in so viel seichtem und sinnleerem Geschwätz begegnen. Andererseits war die bewusste Beschäftigung mit meinen Gefühlen für mich wie eine Berührung, die ich nicht wollte, weil meine Gefühle zu oft mit Missempfindungen verbunden waren: mit dem Eindruck von Orientierungslosigkeit, Peinlichkeit, Scham, Sorge vor eigener Schwäche und Kontrollverlust.
In dem Maße, indem wir (in einer ganz bestimmten Situation; schon zuvor oder auch generell) angespannt sind, kann sich nicht nur die körperliche Empfindung der Anspannung an sich unangenehm anfühlen, sondern auch all das, was wir unter dem Einfluss dieser Anspannung wahrnehmen:
Uns selbst und unsere Umwelt.
Solche Missempfindungen können wiederum Anspannung hervorrufen.
Ich versuchte früher, mit Missempfindungen verbundene Umstände oder Situationen
- ganz zu vermeiden oder
- auszugleichen, wobei ich mich entspannen und mich dadurch wieder besser fühlen konnte: Ein gutes Essen, ein Gespräch mit lieben und vertrauten Menschen, ein Film, ein spannendes Buch. Im Zuge dessen konnte ich meine Missempfindungen für den einzelnen Moment verringern.
Konnte ich Missempfindungen weder vermeiden noch ausgleichen, weil sich die Gelegenheiten dazu für mich gerade nicht ergaben, ging ich automatisch dazu über, unangenehme Empfindungen zu verringern, indem ich sie mit noch etwas mehr Anspannung wegdrückte, sie unterdrückte, um sie nicht mehr fühlen zu müssen.
So ließ sich die Beschäftigung mit der Ursache von Anspannung und daraus resultierender Missempfindung ein Stück weit weg- bzw. aufschieben. Dabei wurde die Beschäftigung mit den eigenen Gefühlen für mich immer ungewohnter und ab einem gewissen Anspannungsgrad selbst unangenehm. Unangenehmes ruft zudem auch schneller Abwehr und Unsicherheit hervor. Man möchte es lieber umgehen. Besonders deshalb, weil man bisher noch keine besseren Lösungen gefunden hat und deshalb annimmt, dass es eben keine besseren Lösungen gibt.
Weil ich das annahm, konnte ich die Erfahrung, dass ich Belastungen und damit auch Anspannung und Missempfindungen durch Entspannung abbauen kann, noch nicht machen.
Diese Erfahrung holte ich beim HeilÜben nach und setzte Entspannung sowohl im normalen Alltag wie auch bei zusätzlichen Herausforderungen gezielt ein.
Natürlich kann man sich die Frage stellen, was dazu geführt hat, dass man so viel Abstand zu sich selbst bekam und sich entscheiden, auf die Suche nach der Verbindung seiner ganz speziellen eigenen Erlebnissen und Lebenssituationen zu gehen. Das würde jedoch hier auf ein zu weites Feld führen. Zudem gibt es schon vieles, was dazu von anderen geschrieben wurde und nun nur darauf wartet, gefunden und gelesen zu werden.
Ziele des HeilÜbens liegen in der Entlastung des alltäglichen Lebens und in der Impulsgebung für die weitere selbstbestimmte Entwicklung.
Ich selbst fand im Verlauf meines eigenen HeilÜbens nach und nach ganz natürlich und ohne große Worte mehr von mir selbst. Ich erlebte dabei, wie bereichernd ein besserer Zugang zu mir selbst ist und mit welch hoher Intensität er entspannend und damit heilend auf meinen Körper wirkte, sodass ich lernte, ihn unbedingt ernst zu nehmen. Zuvor schien meine innere Hemmschwelle aus unangenehmen Empfindungen (durch Gefühle von Peinlichkeit und Versagen) und vergleichsweise wenig guter Erfahrung fast zu hoch.
Kommt man bei solchen Überlegungen an eine innere Abwehrschwelle, dann kann es helfen, die aufgekommenen Gefühle zuzulassen, eine Weile in der Aufmerksamkeit beiseite zu schieben³ und die Aufmerksamkeit zuerst einmal mehr auf die Argumentationslinie im Text zu richten.
Sind wir motiviert, etwas für uns zum Besseren zu wenden, wollen wir weder Schmerzen leiden, noch durch die Folgen von Entzündungen eingeschränkt oder gar zerstört werden, dann brauchen wir das Gespräch mit unserem Körper über unsere Bedürfnisse. Auch über diejenigen, die in bestimmten Situationen für Körper, Seele und Geist durchaus einmal gegeneinander stehen können. Manchmal schränke ich meine Zeit für Schlaf ein, weil ich noch einen Krimi lesen oder ein interessantes Gespräch führen möchte. Manchmal möchte ich Anerkennung, bis ich einsehe, dass ich den Preis dafür nicht zahlen und mich nicht verbiegen will. Manchmal schreibe ich meine Zeilen und ignoriere währenddessen ein Stück weit, dass ich friere oder hungrig bin. Einen begrenzten, zeitweiligen Mangel kann ich sozusagen wegstecken, ihn nachher wieder ausgleichen, weil ich über mein Tun und seine Wirkung auch auf meinen Körper Bescheid weiß. Ist das nicht der Fall und die Dinge geraten dauerhaft ins Ungleichgewicht (bis dahin, dass man sich in der Folge mit einer stressbedingten Erkrankung auseinandersetzen muss), müssen wir uns selbst zuliebe innehalten, und auch die Beziehung zu uns selbst verbessern.
Wie führen wir nun aber Gespräche mit unserem Körper, um unsere körperlichen Bedürfnisse besser kennenzulernen um dementsprechend besser auf unsere Gesundheit achten zu können?
Ein solches Gespräch mit unserem Körper können wir mit guten Vorstellungen und Empfindungen, mit Bewegung, mit Dehnung und mit Massage führen. Wir können die Antworten, die Reaktionen unseres Körpers darauf beobachten und bewusster verstehen lernen. Das ist ein überaus faszinierender Prozess.
Gesündere Mitmenschen erreichen in ihrem Alltag meist immer wieder genügend Ruhe und Entspannung, setzen gezielt Ausgleichssport und Entspannungstechniken ein und erreichen allgemein überwiegend eine bessere Dynamik von Spannung und Entspannung in ihrer Körperhaltung und -bewegung. Die Anspannung wird dann nicht zur durchgehenden Gewohnheit und auch auf schnell und stark überfordernde Situationen folgt eine ausreichende Entlastung. All das führt dazu, dass der Einzelne so lange selbst unter Stress irgendwo unterhalb seiner Belastungsobergrenze bleiben kann. Oftmals weiß er selbst wenig oder gar nicht darüber Bescheid.
Jeder von uns reagiert auf seine Empfindungen mit Spannung und Entspannung bestimmter Muskel- und Bindegewebspartien stärker als mit anderen. Das führt dazu, dass Kreativität, Aktion, Gedanken und Gefühlsregungen den stärksten Ausdruck in der Haltung und Bewegung, der Körpersprache der Hände, Arme und Schultern finden, bei anderen Menschen sind es der Rücken, der Nacken, die Füße … und das so sehr, dass man sagen kann man drückt sich darüber aus, man denkt und fühlt, man reagiert besonders mit ihnen. Sie sind Ort des stärksten körperlichen Ausdrucks jeder unserer Vorstellungen, Gedanken und Empfindungen. Selbst wenn uns das nicht bewusst ist oder wir gelernt haben, es weitgehend zu verbergen, stellen wir uns über sie dar. Und das auch im Stress und in der Überlastung:
wenn wir angespannt sind, fühlen wir Missempfindungen und
wenn wir Missempfindungen fühlen, spannen wir uns wiederum an.
Ich fühlte zwar die Entzündungsschmerzen und Bewegungseinschränkungen, aber meine Gewöhnung an die übermäßige Anspannung des eigenen Körpers verhinderte trotzdem, dass ich als Betroffene genau diese übermäßige Anspannung als Ursache meiner Beschwerden erkennen und mir helfen konnte.
Niemand käme auf die Idee, seine Hand auf einer heißen Herdplatte liegen zu lassen und dabei gegen den Schmerz Medikamente einzunehmen, denn die Ursache für den Schmerz ist unmittelbar deutlich. Bei meiner überlastungsbedingten RA war es für mich ebenso notwendig, den Zusammenhang zwischen Beschwerden und deren Ursache zu erkennen, um die Ursache abzustellen. Je länger die Ursache bestehen bleibt, umso größer ist die Schädigung.
So lange ich das zeitliche Zusammentreffen zwischen Überlastung durch Anspannung und Entzündung, Schmerz, Zerstörung nicht beobachtet hatte, spürte ich zwar einen stärkeren Leidensdruck und Handlungsbedarf, aber eben auch Ratlosigkeit, Sorge bis hin zu Frustration und zwischenzeitlich auch Resignation in Bezug auf Heilung. Ich konnte nicht gesunden und musste zudem auch noch weiter mit der steten unterschwelligen Belastung durch meine gewohnte und zu hohe Anspannung leben.
So kann man sich fragen:
Warum tritt die rheumatoide Arthritis bei mir überhaupt auf?
Warum breitet sie sich auf größere Bereiche aus?
Warum tritt sie durchgehend bzw. warum tritt sie in Schüben auf?
Warum kommen weitere Beschwerden hinzu?
Wie werde ich die RA wieder los?
Die Folgen von überlastendem Stress können zu allem anderen auch durch mehrere gleichzeitig eintretende oder aufeinander folgende Erkrankungen deutlich werden.
Umso mehr wir unsere Belastungen weiterhin abbauen, umso weiter kommen wir unter unsere Belastungsobergrenze.
Je weiter wir unter unsere Belastungsobergrenze gelangen, umso weniger schnell schlagen Belastungen in Überlastungen, die die verschiedensten Erkrankungen bedingen können, um.
Als ich Überlastung in Alltag beenden, von vornherein verhindern und anders mit Belastungen umgehen konnte als bisher heilte meine rheumatoide Arthritis aus.
Dabei fand ich übermäßige Anspannung in meinem gesamten Alltag:
- in Ruhe und in Bewegung, bei Krafteinsatz, Schnelligkeit, Ausdauer und bei der Koordination;
- in Reaktion auf bestimmte Ereignisse und
- in Reaktion auf die Erwartung bestimmter Ereignisse.
Eine überlastungsbedingte rheumatoide Arthritis ist aus meiner Sicht zugleich:
- Folge von Belastungen durch einige ganz bestimmte schlechte Angewohnheiten und
- eine eigene körperliche Realität, die zudem eine weitere Überlastung bedingt und wieder durch genau dieselben schlechten Angewohnheiten funktioniert und durch sie erhalten wird (chronischer Verlauf).
Ließe man das außer Acht, würde man lediglich am Symptom arbeiten im Versuch, etwas zu beheben, was man für das gesamte Problem hält, obwohl es nur die Spitze des Eisberges ist.
Bei meinem HeilÜben beschäftigte ich mich mit dem schmerzhaften, chronisch entzündlichen Prozess bei RA und mit ihrer Ausheilung.
Die Qualität unseres Umganges mit uns selbst macht den Unterschied, ob unsere Haltung und Bewegung Entzündungen und Verschleiß hervorruft oder ob sie sich wohltuend und stärkend auswirkt.
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Manja